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9. Für wen "funktioniert" Alcoholics Anonymous?


Wenn Alcoholics Anonymous offensichtlich nicht für jeden gleichermaßen hilfreich ist und möglicherweise manchen schadet ergibt sich die Frage, welche Problemtrinker von Alcoholics Anonymous profitieren können. Da es keine projektiven Studien gibt, die sich mit dieser Fragestellung befassen läßt sich diese Frage nicht direkt beantworten. Es existiert jedoch eine Vielzahl von Hinweisen darauf, daß A.A.-Mitglieder sich in verschiedenen sozialen und psychologischen Variablen von anderen Alkoholikern unterscheiden.

Fontana et al. untersuchten Unterschiede in der Wahrnehmungsorganisation von Alkoholikern, die sich mehr durch Alcoholics Anonymous angesprochen fühlen und solchen, die traditioneller, einsichtsorientierter Gruppentherapie den Vorzug geben[ vgl. Fontana/Dowds/Bethel 1976]. Sie kamen zu dem Schluß, daß Menschen, deren Denken eher "formistisch" ausgerichtet ist, das heißt, die in Bezug auf das Verstehen der interpersonellen Welt in bestimmten Kategorien und typologischen Etiketten orientiert sind, von Alcoholics Anonymous eher profitieren.

Aufbauend auf der Theorie der konzeptuellen Systeme und der Persönlichkeitsorganisation von Harvey et al. fand Brook, daß erfolgreiche Mitglieder von Alcoholics Anonymous besonders häufig System I (Kennzeichen: Bedürfnis nach Struktur und Ordnung) sowie System II (Bedürfnis nach Einverleibung) zuzurechnen sind[ vgl. Brook 1962].

Goldenthal fand, daß A.A.-Mitglieder mehr durch ihre Impulse kontrolliert sind, die Kontrolle über ihr Leben eher äußeren Einflüssen zuschreiben und allgemein religiöser sind als andere Alkoholiker oder Nichtalkoholiker[ vgl. Goldenthal 1981].

Keine Unterschiede in den MMPI[ Minnesota Multiphasic Personality Inventory ]-Profilen von A.A.-Mitgliedern und anderen Alkoholikern konnten Thurstin et al. feststellen[ vgl. Thurstin/Alfano/Sherer 1986].

Ogborne und Glaser haben die vorhandene Literatur ausgewertet und zu einem Profil des typischen Mitgliedes von Alcoholics Anonymous zusammengefaßt. Charakteristiken die eine erfolgreiche Angliederung an A.A. wahrscheinlicher machen sind danach:[ vgl. Ogborne/Glaser 1980]

Diese Ergebnisse sind sicher nicht als empirisch abgesichert zu betrachten; einige neuere Untersuchungen kommen zum Teil zu anderen Ergebnissen[ vgl. Bradley 1988, S 196] und weitere Forschung ist ganz sicher nötig um zu einem zuverlässigeren Bild zu kommen. Nichtsdestotrotz können die vorgenannten Arbeiten zumindest vorläufige Anhaltspunkte geben, für welche Menschen mit Alkoholproblemen Alcoholics Anonymous hilfreich sein könnte.

Ein beträchtlicher Teil dieser Persönlichkeitsmerkmale reflektiert auch was angesichts der Struktur von A.A. zu erwarten ist. So werden beispielsweise Menschen, die zwar Probleme mit Alkohol haben, deren Trinkverhalten, oder zumindest deren subjektives Erleben dieses Trinkverhaltens aber sehr weit von dem Alkoholismus-Modell von Alcoholics Anonymous entfernt ist, sich wahrscheinlich weniger leicht mit der Ideologie von A.A. identifizieren.

Trotz der Beteuerung von A.A., ein "spirituelles" und nicht ein religiöses Programm zu sein dürfte angesichts der offensichtlichen religiösen Prägung des Programms von A.A. einem Atheisten oder Agnostiker die Angliederung an Alcoholics Anonymous schwerfallen. Eher intellektuell orientierte Personen werden sich vermutlich durch die ausgeprägt antiintellektuelle Haltung ("Utilize, Don't Analyze") und die Forderung nach Demut und bedingungslosem Vertrauen in das Programm von Alcoholics Anonymous abgestoßen fühlen.

Außerdem werden es Menschen, die von ihrem Status und anderen sozialen Charakteristiken her zu stark von den anderen Gruppenmitgliedern abweichen schwerer haben. Traditionell dominiert in Alcoholics Anonymous der weiße Mittelstand, und auch wenn sich hier möglicherweise eine Trendwende abzeichnet[ vgl. ib., S 197], bislang sind Schwarze, Arme, Frauen und andere Minderheiten in A.A. nach wie vor unterrepräsentiert[ vgl. Zocker 1989, S 142].


 <-  ->  ^   © 1990/1997 Peter Daum