Kommentar |
18.10.2013 Exkursion 18-20 Uhr Festiwalla 2013 - Theateraufführung: Salem Günther Reformationskirche, Wiclefstr. 32, U-Beusselstraße, Moabit Soziale Exklusion und kulturelle Teilhabeungerechtigkeit prägen nach wie vor die Realität kultureller Bildung in Deutschland. Bestimmte Zielgruppen werden oftmals pauschalisierend und diskriminierend als „schwer erreichbar" definiert und nicht beteiligt. So gibt es unter den Nutzer_innen der Neuköllner Musikschule nur 3% aus Familien, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Ein Grundproblem ist, dass bestimmte Zielgruppen kategorial etikettiert und damit stigmatisiert werden. Bei Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund werden nicht deren vielfältigen und unterschiedlichen Ressourcen und Potentiale als (trans)kulturelle Grenzgängerinnen und -gänger betont, sondern ihre Defizite bezogen auf ein mehrheitsdeutsches Kulturverständnis. Dieses stigmatisierende Grundverständnis dominiert die Praxis kultureller Bildung. Wenn Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte aus-drücklich als Zielgruppe in kulturelle Projekte einbezogen werden, besteht die Gefahr eines kulturalisierenden Blicks auf sie, des „othering" und damit einer „inklusiven Exklusion". Menschen mit körperlichen und/oder seelischen Beeinträchtigungen erhalten besondere Förderung zur Eingliederung und Rehabilitation. Die Finan-zierung von kulturellen Projekten ist in solchen Kontexten oft an den juristischen Status „Behinderung" gekoppelt. Damit sind bereits die Weichen in Richtung einer Unterscheidung zwischen „behindert/nicht behindert" gestellt und inklusive Prozesse ad absurdum geführt. In vielen Förderanträgen, pädagogischen Konzeptionen, aber auch in der Öffentlichkeitsarbeit bestärken soziale und kulturelle Projekte Unterscheidungen - sie werben gezielt damit, dass „auch" (oder oftmals unausgesprochen „ausschließlich") Menschen mit Beeinträchtigungen beteiligt sind. Dabei besteht die Gefahr, dass die Wahrnehmung künstlerischer Leistung in den Hintergrund rückt. Ein aktuelles Beispiel sorgte in diesem Jahr für Irritationen: In Jérôme Bels „Disabled Theater" führten anlässlich des 50. Theatertreffens in Berlin Schauspieler_innen mit geistiger Beeinträchtigung vom Schweizer Theater Hora enthusiastisch Solotänze auf und „störten" dabei die eingeübte Kunstwahrnehmung. Der „Tipp Berlin" kommentierte: „Kein Wunder, dass „Disabled Theater" die Inszenierung war, die in der Kritiker-Auswahljury des Theatertreffens für die prinzipiellsten Diskussionen sorgte. Mit der Formel „Gutes Theater" ist ihr so wenig beizukommen wie mit eher theaterfernen, sozialpädagogischen Inklusionsabsichten. Jérôme Bel geht es gerade nicht um die Gratisphrase im Stil Evangelischer Kirchentage, dass wir alle Menschen sind und die Differenz zwischen Menschen mit und ohne Down-Syndrom nur eine zwischen jeweils Andersbegabten sei. „Ich bin nicht für das Konzept der Integration", sagt der Choreograf. „Dann wäre das Ziel, dass sie wie wir werden sollen. Gegen diese Idee richtet sich das Stück. Meine Arbeit ist nicht Pädagogik, ich mache Theater. Ich will, dass sie so sein können, wie sie sind, und dass wir akzeptieren, dass sie nicht nach den gleichen Regeln spielen wie wir."" (http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-theater-und-buehne/jerome-bels-disabled-theater-beim-50-theatertreffen). In fachlichen Diskursen um künstlerische Förderung und kulturelle Bildung wird sozialpädagogisches Handeln oftmals negativ konnotiert. Die Begriffe „Inklusion" und „Integration" werden in der medialen Berichterstattung nicht schlüssig definiert und unterschieden. In der Seminararbeit vertiefen wir anhand von Texten, Filmbeispielen und einer gemeinsamen Exkursion aktuelle Fachdiskurse um Inklusion in der Sozialen Kulturarbeit und analysieren von den Studierenden ausgewählte Praxisprojekte entlang der Fragen nach künstlerischen und pädagogischen Qualitätskriterien sowie öffentlicher Wirksamkeit. Im Zentrum stehen qualitative empirische Feldstudien, die Studierende in Gruppenarbeit durchführen werden (wahlweise Dokumentenanalyse von Konzeptionen und Öffentlichkeitsarbeit, teilnehmende Beobachtungen von Prozessen der Sozialen Kulturarbeit, Analyse von Produktionen/Aufführungen und Interviews mit beteiligten Protagonist_innen und Expert_innen). Haben inklusive Projekte der Sozialen Kulturarbeit überhaupt eine Chance - jenseits von wohlgemeinten Floskeln? Oder werden Diskriminierungen, Kulturalisierungs-tendenzen und Ausgrenzungen vielmehr (unbewusst/bewusst) verstärkt? Worin bestehen die besonderen Potenziale künstlerischen Arbeitens und Ausdrucks? Und: Muss Soziale Kulturarbeit überhaupt zwangsläufig inklusiv sein - kann sie nicht im Gegenteil eigensinnig, widerborstig, provozierend wirken und damit Exklusion deutlich machen oder sogar verstärken? |