Kommentar |
ohne Gruppe
Durch die Corona-Pandemie von 2020 - 2023 ist das Phänomen der „Verschwörungserzählungen” deutlich zu Tage getreten. Gemeint ist das Konstruieren oder vermeintlich bewiesene Zusammenführen von Zusammenhängen aus Politik, Wirtschaft und Gesundheit, um auf die „Menschheit” in einer bestimmten Weise Einfluss nehmen und diese steuern zu können. Das Phännomen gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten in unterschiedlichen Ausprägungen, hat sich in den letzten Jahren aber stark verbreitet.
Die Spiritualisierung und Psychologisierung menschlicher Phänomene, ideologischen Weltanschauungen und völkisch-rechtsextremem Gedankengut zu einer aktionistischen Mischung (z.B. Parteiengründung „die Basis”, Ausbreitung der Anastasia-Bewegung, welche vom Verfassungsschutz beobachtet wird, …) betreffen nicht nur einzelne Interessierte, sondern reichen in ganze Familien und Bevölkerungsgruppen hinein. Die Verschwörungsmentalität stellt eine Herausforderung an die demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft dar. Besonders hinsichtlich des Spannungsfeldes der Freiheit der Erziehung durch die Eltern und dem staatlichen Wächteramt lassen sich problematische Tendenzen verschiedener vor allem esoterischer und ideologischer Gruppen ausmachen. Prägnant wird dies am Beispiel des verschwörungsideologischen Souveränismus („Reichsbürgermilieu”), welcher derzeitig zunehmend an Popularität und Zulauf gewinnt. Bei den wachsenden Zahlen der sogenannten Reichsbürger:innen ist damit zu rechnen, dass besonders die Auswirkungen auf die Sozialisation und das Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen in derart ideologischen Gruppierungen zukünftig zunehmend Thema für die Soziale Arbeit werden wird.
Im Projekt soll folgenden Fragen nachgegangen werden: Inwieweit hat das Gedankengut (Spiritualität, Religiosität, Ideologie) Auswirkungen auf das Hilfesystem? Warum nehmen Klient:innen dann bestimmte Betreuungsangebote nicht mehr wahr? Warum ist das Klientel so empfänglich für eine spirituelleDeutung, Verschwörungserzählungen oder Ideologien? Für die praktische Tätigkeit von Sozialarbeitenden stellen sich folgende Fragen: Wie wird die Haltung sowohl der Klient:innen als auch der Mitarbeitenden im Team kommuniziert? Wie erfolgt die Abgrenzung von privater und professioneller Haltung? Muss Leitung Vorgaben machen und diese überwachen? Bis zu welchem Maß darf die persönliche Überzeugung/der Glaube/Spiritualität/Religiosität in die Arbeit einfließen? Wie muss das geframt sein: ist es konzeptionell verankert? Werden die jeweiligen Haltungen offen kommuniziert, oder eher implizit? Wer überprüft die Träger und Vereine daraufhin?
Das Projekt ist ein Versuch, die Ambivalenzen zwischen Privatheit und gesellschaftlichen Niederschlag von Spiritualität, Religiosität und ideologischen Überzeugungen auszutarieren.. Die Zurückhaltung offizieller Institutionen wie Schulen, Hochschulen, Ämter, Gesundheitswesen respektiert einerseits die Freiheit in der Ausübung von Religion und Glaube nach Art. 4 GG. Andererseits birgt diese Freiheit ein Potenzial an Desorientierung, Desinformation oder schädlich angewandter Praktiken. Diese offene, gleichzeitig aber auch nichtwahrnehmende Haltung der Gesellschaft führt z.B. bei Therapeut:innen oder Sozialarbeiter:innen zu Verunsicherung oder Ablehnung bzgl. Spiritualität, Religiosität oder anderer Weltanschauungen. Es fehlt, trotz des großen Interesses in der Bevölkerung, an einem gesellschaftlichen Konsens, dass spirituelle Erfahrung eine ebenso valide Lebenswirklichkeit darstellt wie Arbeiten, Familienleben, Kunst, Kultur etc. Auch Soziale Arbeit, welche ja durchaus Ursprünge in spirituellen Haltungen hat, zieht sich in den letzten Jahren aus diesem Themenfeld zurück. Für die Hilfesuchenden mangelt es an niedrigschwelligen Beratungsmöglichkeiten über aktuelle Angebote, Qualitätschecks und der Einsortierung, welcher Ansatz in der gegenwärtigen Lebenssituation potenziell hilfreich oder riskant sein könnte. Das Projekt orientiert sich schwerpunktmäßig an der Frage: Kann Spiritualität eine Ressource, eine Empowerment-Strategie für Hilfesuchende darstellen? Welche Merkmale kennzeichnen eine toxische, lebenshinderliche Spiritualität? Kann eine zugewandte, reflexive und zugleich kritische Spiritualität Eingang in die Profession der Sozialen Arbeit finden? Wenn ja, wie? Wann ist eine Trennung von Sozialer Arbeit und Spiritualität sinnvoll?
-----ACHTUNG! Das Projekt enthält viele Selbsterfahrungsanteile. Daher sollte eine Einschreibung in das Projekt nur erfolgen, wenn die Bereitschaft besteht, sich persönlich zu öffnen und mit den eigenen Erfahrungen zu involvieren. Das Projekt geht deutlich über eine ausschließlich akademische Wissensvermittlung hinaus.---------- |