Die Geschichte der ASH Berlin
Die Geschichte der "Alice Salomon Hochschule" ist aufs engste mit der Entwicklung der modernen Sozialarbeit und Sozialreform verbunden. Die Wurzeln der Hochschule reichen ins 19. Jahrhundert zurück, als mit einjährigen Kursen die systematische Ausbildung zur sozialen Arbeit in Deutschland begann.
Entwicklung der modernen Sozialarbeit
Grundlage der von Jeannette Schwerin (1852-1899) angeregten Jahreskurse waren die Erfahrungen der "Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit", die 1893 in Berlin von Sozialreformern und Feministinnen gegründet worden waren.
Die erfolgreiche Entwicklung der Kurse unter der Leitung von Alice Salomon (1872-1948) führte 1908 mit Unterstützung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses zur Gründung der zweijährigen "Sozialen Frauenschule" in Berlin-Schöneberg. Sie wurde zum Vorbild für weitere Schulgründungen und hat die Entwicklung der Sozialen Arbeit in Deutschland mitgeprägt. Die wichtigsten Prinzipien: Interdisziplinarität, die enge Verbindung von Theorie und Praxis und die internationale Orientierung sind noch heute Grundlagen der Ausbildung.
Die Soziale Frauenschule war Sitz der 1917 gegründeten "Konferenz der sozialen Schulen" (KFS) und der 1929 gegründeten "International Association of Schools of Social Work" (IASSW) sowie der 1925 gegründeten "Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit", die die hochschulmäßige Ausbildung zur Sozialen Arbeit vorwegnahm. 1932 erhielt die Schule den Namen "Alice-Salomon-Schule".
1933, mit Beginn der NS-Diktatur, wurde die Alice-Salomon-Schule, nicht ohne Eigenbeteiligung, als eine emanzipatorische und auf soziale Gerechtigkeit orientierte Schule zerstört, die Akademie wurde aufgelöst, der Name "Alice-Salomon-Schule" wurde fallengelassen, alle jüdischen und sozialdemokratischen Dozentinnen und Dozenten, Schülerinnen und Mitarbeiterinnen vertrieben. Als "Schule für Volkspflege" vom NS-Staat anerkannt wurde die Schule bis 1945 weitergeführt.
Nachkriegszeit und Bildungsreform
Nach der Befreiung von der NS-Diktatur konnte die Schule nach Entlassung ihrer Direktorin mit Genehmigung der Alliierten im Juni 1945 ihre Arbeit wieder aufnehmen, in Anknüpfung an die wieder in Kraft gesetzten Ausbildungsbestimmungen der 20er Jahre und in Orientierung an amerikanischen Vorbildern. Die Ausbildung wurde für männliche Studierende geöffnet und auf 3 Jahre ausgedehnt. 1954 erhielt sie, nun "Seminar für Soziale Arbeit" (ab 1968 "Akademie für Soziale Arbeit"), wieder den Namen Alice Salomons.
Im Rahmen der Bildungsreform Ende der 60er Jahre wurde sie 1971 zur "Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik" unter Einschluss der katholischen "Helene-Weber-Akademie" und des "Seminars der Arbeiterwohlfahrt" erweitert. 1994 wurde ein zweiter Studiengang "Pflege/Pflegemanagement" eingerichtet.
Umbennenung und Umzug
1908 war die Soziale Frauenschule, heute Alice Salomon Hochschule Berlin, noch Gast in dem backsteingotischen, 1898 eröffneten Gebäude des Pestalozzi-Fröbel-Hauses (PFH) in Berlin-Schöneberg. Seit 1914 befand sich die Ausbildungsstätte dann in einem neu errichteten schlichten und modernen Gebäude im Garten des PFH. 1998 zog die Hochschule nach Berlin-Hellersdorf um.
Heute bietet die ASH Berlin Master- und Bachelorstudiengänge für Soziale Arbeit, den nicht-ärztlichen Gesundheitsbereich sowie Bildung im Kindesalter an. Seit 1992 trägt sie wieder den Namen Alice Salomons, deren Werk sie in vieler Hinsicht verbunden ist.
Wer war Alice Salomon?
Alice Salomon wurde 1872 in Berlin geboren und gehörte der emanzipierten und assimilierten jüdischen Mittelschicht an. Der Hintergrund blieb prägend, auch wenn Alice Salomon 1914 zum Protestantismus konvertierte und Elemente der protestantischen Sozialethik eine wichtige Grundlage ihres Werkes wurden.
Von 1902 bis 1906 studierte Alice Salomon als Gasthörerin an der Friedrich-Wilhelms-Universität Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie, obgleich sie kein Abitur und die Schule, wie für Mädchen üblich, nur neun Jahre besucht hatte. Als Voraussetzung für den Besuch der Universität wurden ihre Publikationen anerkannt, u.a. zwei umfangreiche Artikel in dem von Helene Lange und Gertrud Bäumer 1901 herausgegebenen Handbuch der deutschen Frauenbewegung. 1906 promovierte Alice Salomon mit einer Arbeit über die ungleiche Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit.
Bildungsarbeit für Frauen
Seit 1893 engagierte sie sich in der sozialen Frauenarbeit und der Frauenbewegung. Sie arbeitete u.a. in einem Mädchenhort und Arbeiterinnenheim und wurde 1899 Vorsitzende des Vereins der Mädchen- und Frauengruppen für Soziale Hilfsarbeit. 1900 übernahm sie im Bund Deutscher Frauenvereine Vorstandsfunktionen, ab 1909 auch in der internationalen Frauenbewegung im International Council of Women, ab 1920 als Vizepräsidentin.
Der zweite Schwerpunkt ihrer Arbeit waren Frauen- und soziale Bildung. Sie eröffnete 1899 den ersten Jahreskurs der Mädchen- und Frauengruppen für Soziale Hilfsarbeit, mit dem in Deutschland die systematische Ausbildung für die soziale Arbeit begann.
1908 gründete sie die Soziale Frauenschule in Berlin, 1925 die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit mit einer eigenen Abteilung für empirische Forschungen. 1916/17 initiierte und organisierte sie die Konferenz der Sozialen Frauenschulen Deutschlands, die sie bis 1933 leitete. 1929 war sie maßgeblich an der Gründung des Internationalen Komitees sozialer Schulen beteiligt (heute: International Association of Schools of Social Work/ IASSW), dessen Vorsitzende sie über 1933 hinaus war. Die Projekte bestehen bis heute.
Einzig die Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, deren Auflösung im Mai 1933 Alice Salomon selbst veranlasste, um der drohenden Hausdurchsuchung und Liquidierung durch die Gestapo zu entgehen, wurde nach 1945 nicht wieder neu gegründet.
Emigration in die USA
Alice Salomon wurde 1933 aus allen öffentlichen Ämtern verdrängt und im Alter von 65 Jahren 1937 von der Gestapo zur Emigration gezwungen. Der seit dem 1. Weltkrieg auch in der Frauenbewegung zunehmende Antisemitismus hatte bereits vorher dazu geführt gehabt, Nominierungen Alice Salomons für den Vorsitz des Bundes Deutscher Frauenvereine und 1928 auch für den Vorsitz des International Council of Women zu verhindern.
Alice Salomon starb 1948 in New York.