Wir, jüdisch-(deutsch-)israelische Angehörige und ehemalige Angehörige der ASH Berlin, möchten unsere Solidarität mit Prof. Dr. Bettina Völter sowie dem gesamten Präsidium der ASH Berlin im Zusammenhang mit der Besetzung des Audimax der Hochschule am 6. Januar 2025 zum Ausdruck bringen. Schon unmittelbar nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich Bettina Völter persönlich bei uns gemeldet – nicht nur, um zu fragen, wie es uns geht und was wir in dieser Situation an Support brauchen – sondern auch, um sich beraten zu lassen, wie die Hochschule aus unserer Sicht das Thema Israel/Palästina behandeln und gleichzeitig Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus entgegentreten kann. Seit diesen Gesprächen sind wir aktiv an der Gestaltung der Lehre und der thematischen Veranstaltungsreihen an der Hochschule beteiligt.
Damit hat Bettina Völter etwas geschafft, was wir im allgemeinen Diskurs (und zum Teil selbst in unserem unmittelbaren persönlichen Umfeld) schmerzlich vermissen: Sie hat sich nicht angemaßt, über uns, unsere Sorgen und unsere Bedürfnisse zu sprechen. Stattdessen hat sie uns aktiv mit ins Boot geholt und Raum für unsere eigenen Stimmen geschaffen. Da unsere Stimmen in der aktuellen Debatte über die Besetzung des Audimax und den Umgang der Hochschule wieder unterzugehen drohen, nehmen wir uns den Raum, uns Gehör zu verschaffen. Das wird vielen nicht gefallen, weil sie jüdische und israelische Perspektiven immer nur dann interessieren, wenn sie die eigene Position legitimieren und stärken.
Konkret sind aus den Gesprächen und Beratungen verschiedene Angebote für die gesamte Hochschule entstanden, mit der die gesamte Hochschulgemeinschaft eingeladen wurde, sich an der Auseinandersetzung zu beteiligen:
• Im Sommersemester 2024 fand, in Kooperation mit den anderen Berliner SAGE-Hochschulen, eine Ringvorlesung zu Antisemitismus im Sozial-, Bildungs-, und Gesundheitswesen statt.
• Im Sommersemester 2024 wurden wir gemeinsam mit den Gremien der studentischen Selbstverwaltung explizit eingeladen, an einem internen „Deep Democracy Process“ teilzunehmen, in dem selbstkritische und wegweisende Verständigungsarbeit geleistet wurde. Wir haben dieses Format als sehr bereichernd empfunden und würden uns Ähnliches auf allen Ebenen des Bildungswesens wünschen.
• Über das gesamte aktuelle Wintersemester 2024/25 findet die Veranstaltungsreihe „Zivilgesellschaftliches Engagement in Israel/Palästina – Stimmen gegen die Perspektivlosigkeit” statt. Hier kommen sowohl israelische als auch palästinensische Sprecher_innen zu Wort, die sich für Versöhnung und Verständigung einsetzen.
• Anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags am 27. Januar 2025 ist eine Kunstperformance – „Paths of Remembrance“ – geplant, die von einer jüdische und einem kurdischen Künstler_in umgesetzt wird. In unseren Augen ist das die Zukunft der Erinnerungskultur: multiperspektivisch, dialogisch und partizipativ. Darüber, dass der Weg hin zu einer inklusiven Erinnerungskultur, die Identität nicht in ausgrenzender Weise formt, kein einfacher ist, machen wir uns keine Illusionen. Dennoch halten wir ihn für alternativlos und würden uns hier mehr praktisches Engagement wünschen.
Drei der vier genannten Veranstaltungen hat Prof. Dr. Völter persönlich mitorganisiert. Das ist der Ansatz, mit dem sie oft arbeitet und der an der ASH Berlin vorgelebt wird - sich selbst involvieren, um zu verstehen und Beziehungen zu entwickeln, auf deren Basis etwas Gemeinsames geschaffen werden kann, das mehr als " mehr desselben " ist. Insofern bietet die Besetzung ohne Räumung, die Chance, mit den Studierenden danach an den Erfahrungen zu arbeiten und sie nicht nur auszuschließen und gesellschaftlich zu stigmatisieren. Engagement in Richtung einer inklusiven und sozial gerechten Gesellschaft bedeutet Auseinandersetzung und ja, manchmal auch Streit. Zwei von den Unterzeichnenden dieses Briefs geben deshalb Seminare im Rahmen der Studiengänge der ASH, in denen sie sich kritisch mit Antisemitismus und dem Israel-Palästina Konflikt befassen und in die Auseinandersetzung mit den Studierenden gehen. Bettina Völter hat uns zu diesen Veranstaltungen ermutigt und stand uns jederzeit für einen Austausch darüber zur Verfügung – auch über die frustrierenden Momente, die Lehre immer auch mit sich bringt.
Als Jüd_innen, die in Deutschland leben, wissen wir nur zu gut, dass es keinen Raum gibt, der frei von Antisemitismus ist. Dass es während der Saalbesetzung zu antisemitischen Äußerungen und Handlungen kam, besorgt uns, überrascht uns jedoch nicht. Wir waren in diesen Tagen teilweise an der Hochschule und haben Hamas-verherrlichende Symbole gesehen und Parolen gehört. Wir haben jedoch auch erlebt, wie die Hochschulleitung und andere Hochschulangehörige aktiv und mit persönlichem Einsatz deeskalierende Gespräche geführt und klare Grenzen formuliert haben. Diskriminierende Plakate wurden daraufhin von den Besetzenden selbst entfernt. Die Bilder bleiben jedoch im Netz und werden seitdem von verschiedensten Akteuren für ihre je eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert.
Politische Akteure aus dem rechten und konservativen Spektrum nutzen die viral gegangenen Grenzüberschreitungen von Teilen der Besetzer_innen, um Kritik am Umgang der deutschen Bundesregierung mit dem Israel-Palästina-Konflikt und dem Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza pauschal zu kriminalisieren und zum Schweigen zu bringen. Alle Beteiligten der Besetzung pauschal als „Antisemiten“ zu bezeichnen, wie es in einem Statement des Regierenden Bürgermeisters, Kai Wegner, geschah, ist diskriminierend und in dieser Verallgemeinerung schlichtweg falsch. Solche gefährlichen Verallgemeinerungen schützen jüdische Menschen nicht vor Antisemitismus. Ganz im Gegenteil: Wenn jede Solidaritätsbekundung mit den Menschen in Gaza als Antisemitismus markiert wird, verlieren tatsächliche antisemitische Äußerungen und Taten an Bedeutung. Wir verwehren uns außerdem dagegen, dass jüdische und israelische Perspektiven immer nur dann Beachtung finden, wenn sie die eigene Haltung zu Israel/Palästina legitimieren, ansonsten aber ignoriert oder gar bekämpft werden.
Als Sozialarbeiter_innen und politische Bildner_innen haben wir uns entsprechend der Werte unserer Professionen zu dialogischen und gewaltfreien Formen der Auseinandersetzung und Konfliktlösung verpflichtet. Trotz aller Unterschiedlichkeit, eint uns diese Haltung.
Wir stehen voll und ganz hinter der Entscheidung des Präsidiums, die Besetzung und die damit verbundenen Äußerungen und Symboliken intern und deeskalierend zu beenden und keine polizeiliche Räumung zu veranlassen. Wir stellen uns zudem entschieden gegen die Darstellung, Prof. Dr. Bettina Völter hätte in ihrem Handeln Antisemitismus geduldet, gefördert oder unterstützt. Das Gegenteil ist der Fall: Antisemitismus wird an der ASH Berlin in all seinen Erscheinungsformen kritisch thematisiert, den antisemitischen Ausfällen der Besetzer_innen wurden von uns deutliche Grenzen gesetzt. Auch in Zukunft werden wir uns für eine diverse, diskriminierungs- und antisemitismuskritische Hochschule engagieren. Wir wünschen uns dafür deutliche Solidarität und mehr Engagement auch unserer nicht-jüdischen Kommiliton_innen und Kolleg_innen.
Boris Arons
Dikla Levinger
Vered Berman
Arnon Shaked
Miriam Bloch
Liat Bolztman
Arnon Hampe