Auf Einladung des Pflegestudiengangs der ASH Berlin besuchte Claudia Moll, die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, am 6. Februar 2023 die Hochschule in Berlin-Hellersdorf. Ziel des Gesprächstermins war es, auf die prekäre finanzielle Situation der Studierenden aufmerksam zu machen und der Forderung nach einem tragfähigen Finanzierungsmodell für Pflegestudiengänge Nachdruck zu verleihen.
Zunächst besichtigte Claudia Moll die Skills Labs, das sind eigens für das Pflegestudium eingerichtete Räume mit der Ausstattung eines Krankenhauszimmers. Besonders begeistert zeigte sich die Politikerin von der Möglichkeit, mit Hilfe einer Virtual Reality-Brille und einem Bewegungs-Controller das komplette Gefäßsystem eines virtuellen Patienten anatomisch betrachten zu können.
An der sich anschließenden Gesprächsrunde nahmen neben der Pflegebevollmächtigten und Mitgliedern der ASH-Hochschulleitung sowie des Dekanats von Fachbereich II noch Praxisvertreter_innen, Pflegelehrende und -studierende teil. Auf Claudia Molls Frage, warum sie Pflege studieren, antwortete stellvertretend die Pflegestudentin Katrin Ebell, dass sie an dem Studium das stete Hinterfragen der Pflegepraxis und der wissenschaftliche Transfer begeistere. Sie sagte aber auch, dass sie nun nach drei Semestern an ihrer Belastungsgrenze angelangt sei. „Das Studium ist nicht vergütet, obwohl wir in den insgesamt drei Jahren ungefähr 13-14 Monate lang Praxiseinsätze in Vollzeit absolvieren. Ich arbeite nebenbei, entweder am Wochenende oder an den Werktagen in der Früh- oder Spätschicht, um mein Studium einigermaßen finanzieren zu können.“ Sie berichtete weiter, dass elf Student_innen zeitgleich mit ihr das Pflegestudium aufgenommen hätten und davon nur noch drei Personen übrig seien.
„Jeder und jede einzelne Studierende, die wir in diesem Studium verlieren, ist ein Verlust für alle Pflegebedürftigen und für die gesamte Gesellschaft“, warnte ASH-Rektorin Prof. Dr. Bettina Völter.
Bereits im Oktober 2021 wandten sich Studierende des Bachelorstudiengangs Pflege von drei Berliner Hochschulen in einem offenen Brief an politische Entscheidungsträger_innen. Darin machten sie auf ihre prekäre finanzielle Lage, die hohe Belastung durch ein Vollzeitstudium mit langen unbezahlten Pflichtpraktika und die daraus resultierende hohe Abbrecherquote aufmerksam. Da das Vollzeitstudium keine Zeit für Nebenjobs lässt, kann es nur durch BAföG oder Wohnen bei den Eltern finanziert werden. Wenn Studierende, die zum Beispiel keinen BAföG-Anspruch haben, neben dem Vollzeitstudium einen Nebenjob ausführen, gelangen sie sehr schnell an ihre Belastungsgrenze.
Prof. Dr. Uwe Bettig, Dekan des Fachbereiches II - Gesundheit, Erziehung und Bildung, wies auf die internationalen Studien hin, die belegen, dass sich der Outcome in der Gesundheitsversorgung deutlich verbessert, wenn Pflegefachpersonen zu einem hohen Anteil akademisiert sind, wenn es also in der Berufspraxis neben ausgebildeten auch studierte Pflegefachpersonen gibt. „Die Akademisierung wird eine Professionalisierung und damit auch mehr Anerkennung der Pflege und bessere Verdienstmöglichkeiten bewirken. Der Pflegeberuf hat sich deutlich entwickelt zu einer Disziplin mit hohen Anforderungen, aber das spiegelt sich im Gehalt überhaupt nicht wider. Die Akademisierung ist eine Entwicklung, die in der pflegerischen Versorgung endlich vollzogen werden muss. Dazu fehlt aber ein klares politisches Bekenntnis“, so Uwe Bettig.
Auch Prof. Dr. Katja Boguth, Professorin für die praktische Studienphase im Pflegestudiengang, betonte, dass es studierte Pflegefachpersonen brauche, um die hochkomplexen Pflegesituationen analysieren zu können. Es müsse um die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung gehen.
Auf die Frage der Pflegebevollmächtigten, was sich die Anwesenden von ihr wünschen, hatte Prof. Dr. Johannes Gräske, Professor für Pflegewissenschaft, eine ganz klare Antwort: „Unser Wunsch ist, dass das Pflegestudium vollfinanziert wird!“ Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung haben die regierenden Parteien festgehalten: „Die akademische Pflegeausbildung stärken wir gemeinsam mit den Ländern. Dort, wo Pflegefachkräfte in Ausbildung oder Studium bisher keine Ausbildungsvergütung erhalten, schließen wir Regelungslücken.“ (S. 82)
Da der Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach zugesagt hat, sich um die Finanzierung zu kümmern, weigert sich das Land Berlin zur Verfügung stehende Gelder auszuzahlen. Bisher sind allerdings seitens der Bundesregierung keine Gelder an die Pflegestudiengänge geflossen.
Claudia Moll sicherte zu, dieses Problem in der am darauffolgenden Tag stattfindenden Fraktionssitzung gegenüber dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach und dem Finanzminister Christian Lindner zur Sprache zu bringen.
Am Ende des Gesprächstermins beleuchtete Michael Brantzko vom Pflegewohnzentrum Kaulsdorf-Nord noch die Situation der Praxiseinrichtungen und machte auf die fehlende Refinanzierung der Praxisanleiter_innen, die die praktischen Einsätze der Studierenden begleiten, aufmerksam: „Ich habe Sorge, dass in Zukunft Praxiseinrichtungen abspringen werden, weil die Praxisanleitung für Studierende nicht finanziert wird.“ Johannes Gräske fügte hinzu: „Die Praxiseinrichtungen fragen uns, warum sie uns die Praxisstellen geben sollen, wenn sie dafür keine Finanzierung erhalten. Vermitteln sie die Stellen dagegen an Auszubildende, bekommen sie Geld. Das macht es für uns als Hochschule sehr schwierig Praxiseinrichtungen zu gewinnen.“
Politische Lobbyarbeit des Pflegestudiengangs
Nachdem sich Studierende des Studiengangs Pflege dreier Berliner Hochschulen im Herbst 2021 mit einem offenen Brief an politische Entscheidungstäger_innen wandten, haben bisher Tobias Bauschke (FDP), Sprecher für Soziales und Pflege im Berliner Abgeordnetenhaus, und die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicole Westig, Mitglied des Gesundheitsausschusses, die ASH Berlin besucht und sich mit Dozierenden und Studierenden des Pflegestudiengangs ausgetauscht. Im Oktober 2022 sprachen Studierende und Lehrende des Studiengangs vor den Mitgliedern des Wissenschaftsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Katja Boguth war im November 2022 als Sachverständige zur Sitzung des Ausschusses für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung des Abgeordnetenhauses von Berlin zum Thema „Fachkräfte- und Nachwuchssicherung“ geladen. Vor 3 Wochen, am 18. Januar 2023, luden Pflegestudierende und -lehrende von EHB und ASH Berlin Berliner Abgeordnete und Praxisvertreter_innen zur Debatte über die Zukunft des Pflegestudiums in Berlin ein. Am 6. Februar war die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, zu Gast und gestern war Johannes Gräske zu einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zum Thema „Hochschulische Pflegeausbildung stärken – Pflegerische Versorgung von morgen absichern“. Und das nächste Ziel von Johannes Gräske und seinem Team steht schon fest: Gesundheitsminister Karl Lauterbach an die ASH Berlin einladen!