Ist die Misshandlung älterer Menschen tatsächlich ein Problem, das in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt ist? Sind ältere Menschen in Pflege (oder mit Pflegebedarf) besonders von Gewalt betroffen? Braucht es den Welttag gegen die Misshandlung älterer Menschen, der 2011 von den Vereinten Nationen erstmalig ausgerufen wurde?
Diese Fragen müssen – bedauerlicherweise – mit "Ja" beantwortet werden. Gewalt hat viele Gesichter und schwerwiegende Folgen für die Betroffenen. Weltweit, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), erlebte 2017 eine von sechs Personen über 60 Jahren Gewalt in Gemeinschaftseinrichtungen. Vor allem in Pflegeheimen ist die Misshandlungsrate hoch.
Das studentische Projekt "Menschenrechte im Gesundheitswesen" im Bachelorstudiengang Gesundheits- und Pflegemanagement möchte dazu beitragen, auf den Welttag gegen die Misshandlung älterer Menschen und damit auf diese Thematik aufmerksam zu machen.
Zur Verdeutlichung folgendes Szenario: Frau M. lebt in einem Pflegeheim. Das Personal bemüht sich um eine zugewandte, personenzentrierte Pflege, doch der vorherrschende Personalmangel führt zu Ungeduld und schließlich auch zu Misshandlungen. Unterstützungsbedarfe und der menschenrechtlich begründete Anspruch auf eine würdeachtende Gesundheitsversorgung werden nicht mehr erfüllt. So wird etwa aus einer behutsamen Assistenz bei einer aktivierenden, selbstbestimmten Ganzkörperwaschung am Waschbecken eine rasche, passivierende Waschung im Bett mit eher groben körperlichen Handlungen, ohne ausreichende verbale Ankündigung der jeweiligen Tätigkeit und unter Vernachlässigung der Schamgefühle sowie der emotionalen Bedürfnisse.
Welche Konsequenzen für die Mitarbeitenden, die Einrichtung, die Gesellschaft wird diese – schlimmstenfalls sich täglich wiederholende – Misshandlung von Frau M. haben? Womöglich keine. Das, so die Botschaft des Welttags, muss sich dringend ändern!
Dieser Artikel wurde vom Team des studentischen Projektes "Menschenrechte im Gesundheitswesen" geschrieben. Das Team setzt sich zusammen aus: Samis Fröhlich, Tina Kahlert, Sinan Kallmeyer, Fulya Kilic, Jessica Kittendorf und Prof. Dr. Gudrun Piechotta-Henze (Projektleitung).
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Interview mit Dr. Claudia Mahler und Dr. Tim Reiß auf alice online. Dr. Claudia Mahler ist Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin und unabhängige Expertin der Vereinten Nationen für die Rechte Älterer. Dr. Tim Reiß ist Philosoph sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Christliche Ethik und Politik (ICEP) der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Beide sind außerdem an der ASH Berlin tätig als Lehrbeauftragte im Projekt Menschenrechte im Gesundheitswesen im Studiengang Gesundheits- und Pflegemanagement.
Quellen:
Elder Abuse Fact Sheet der WHO vom 15. Juni 2018
https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0008/373904/fs-elder-abuse-eng.pdf (Zugriff: 12.06.2021)
Hintergrundinformationen zum Welttag gegen die Misshandlung älterer Menschen (World Elder Abuse Awareness Day) der Vereinten Nationen:
https://www.un.org/en/observances/elder-abuse-awareness-day/background (Zugriff: 12.06.2021)