RUSMUB
Inanspruchnahmeverhalten junger russischsprachiger Migrant_innen mit intensivem Alkohol- und/oder Drogengebrauch und (drohender) Hepatitis
Laufzeit: 01.02.2012 bis 30.09.2013
Projektleitung: Prof. Dr. phil Uwe Flick (FU Berlin)
Projektmitarbeiter_innen: Dr. Gundula Röhnsch, Olena Klementyeva (wissenschaftliche Mitarbeiterin), Aksana Rachytskaya (studentische Mitarbeiterin), Tiana Patrik (studentische Mitarbeiterin)
Wissenschaftlicher Beirat:
- Prof. Dr. Wolfgang Kühnel, Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin)
- Prof. Dr. Karin Weiss, Leiterin der Abteilung Integration und Migration im Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz
- Fachstelle für Suchtprävention des Landes Berlin
Dokumente/Downloads:
Hintergrund des Forschungsprojekts:
Abhängigkeitserkrankungen gehören weltweit zu den chronisch-psychischen Krankheiten mit der höchsten Inzidenz und sind auch unter Migrant_innen in Deutschland weit verbreitet. Nach Erfahrungen von Praktikern der Suchthilfe weisen speziell junge russischsprachige Migrant_innen oft sehr harte Muster des Alkohol- und Drogenkonsums auf. So greifen sie bereits frühzeitig zu Heroin oder beginnen mit dieser Substanz sogar ihre Drogenkarriere. Aufgrund ihres riskanten Konsums leiden die jungen Migrant_innen häufig unter Folgeerkrankungen wie sexuell übertragbaren Erkrankungen und Virushepatitiden.
Während insofern ein besonderer Versorgungsbedarf junger russischsprachiger Migrant_innen deutlich wird, nehmen diese die bestehenden Hilfeangebote oft gar nicht oder nur sehr verzögert an oder werden vom Versorgungssystem nicht angemessen unterstützt.
Allgemein sind Suchterkrankungen mit einem komplexen und multiplen Hilfebedarf verbunden. Suchtgefährdete und -kranke Menschen haben daher zahlreiche Kontakte zu unterschiedlichen Settings und Versorgungssystemen. Hierzu gehören Medizin/Gesundheit, soziale Hilfen, Justiz und, sofern es sich um junge Menschen handelt, Jugendhilfe und Schule. Eine integrierte Versorgung zwischen Suchthilfe und angrenzenden Sektoren gilt als Voraussetzung, um Betroffene zu erreichen und ihren Zugang zu suchtspezifischen Hilfen zu verbessern. Die Vernetzung unterschiedlicher Hilfesysteme ist auch von Bedeutung, um Frühintervention und Behandlung von jungen Alkohol- und Drogenkonsument_innen zu verbessern.
Wissenschaftliche Erkenntnisse lassen allerdings keinen Schluss zu, inwieweit eine integrierte Versorgung russischsprachige Migrant_innen erreicht. Zum Alkohol- und Drogenkonsum junger russischsprachiger Migrant_innen finden sich vor allem Erfahrungsberichte von Praktiker_innen, die das Fehlen von methodologisch verlässlichen Untersuchungen konstatieren.
Zielsetzung:
In dieser Studie wird die Frage verfolgt, wie junge russischsprachige Migrant_innen, die intensiv Alkohol oder andere (illegale) Drogen konsumieren, ihren Substanzgebrauch und mögliche Folgeerkrankungen wie Virushepatitiden wahrnehmen und bewältigen. Von besonderem Interesse ist, unter welchen Bedingungen die jungen Menschen professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen und welche Erwartungen und Erfahrungen damit verbunden sind. Davon auszugehen ist, dass sich Suchtprobleme, damit verbundene Gesundheitsfolgen und der Umgang damit aus subjektiver Sicht anders darstellen als nach Maßgabe ‚objektiver’ Kriterien. Daher sollen den subjektiven Sichten der Betroffenen, die die Basis darstellen für eine zielgruppenorientierte Versorgung, sektorübergreifend die Erfahrungen von Mitarbeiter/innen gesundheitlicher und sozialer Versorgungsinstitutionen gegenübergestellt werden. Zudem soll mittels teilnehmender Beobachtung an Szenentreffpunkten und in Versorgungsinstitutionen festgestellt werden, unter welchen Aspekten der Substanzgebrauch in der unmittelbaren Lebenswelt der Betroffenen zum Thema wird. In diesem Zusammenhang interessiert auch, welche versorgungsrelevanten Interaktionen innerhalb und zwischen einzelnen Hilfsangeboten ablaufen.
Fragestellungen:
Zwei (Haupt-) Fragestellungen werden verfolgt:
Von Interesse ist zum einen, welche Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen sich bei jungen russischsprachigen Migrant_innen mit Alkohol- und Drogenproblemen finden lassen, wie sie den eigenen Substanzgebrauch wahrnehmen und welche Erfahrungen sie mit dem Hilfesystem gemacht haben. Diese Fragestellung umfasst eine Reihe von Einzelaspekten etwa dazu,
- was die jungen Migrant_innen unter ‚Gesundheit’ und was unter ‚Krankheit’ verstehen und wie sie sich ihre (potentielle) Abhängigkeit erklären
- unter welchen Bedingungen die jungen Migrant_innen im Fall von Alkohol- und Drogenproblemen bzw. im Fall von Hepatitis um professionelle Hilfe nachsuchen und welche Erfahrungen sie mit dieser Hilfe gemacht haben
Zum anderen soll herausgefunden werden, worin aus Sicht der Hilfeanbieter_innen die Anforderungen der Gesundheitsversorgung für junge russischsprachige Migrant/innen liegen und wie sich deren subjektive (Hilfe-)Bedürfnisse darstellen. Auch in diesem Kontext sind unterschiedliche Teilfragestellungen relevant, die sich z.B. darauf beziehen,
- welches Problembewusstsein Mitarbeiter_innen gesundheitlicher und sozialer Einrichtungen in Bezug auf den Alkohol- und Drogenkonsum von jungen russischsprachigen Migrant_innen und auf damit verbundene Folgekrankheiten verdeutlichen
- welche Kooperationen mit anderen Einrichtungen des gesundheitlichen (und sozialen) Versorgungssystems bestehen, welche Anforderungen sich für die Aufgabenkoordination stellen und wo hierbei Möglichkeiten und Grenzen liegen
Mittelgeber_in: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Publikationen:
- Flick, U. & Röhnsch, G. (2012): Hilfesuche russischsprachiger Migrantinnen und Migranten mit Alkohol- und Drogenproblemen und Hepatitis – Projekt RUSMUB. Alice – Magazin der Alice Salomon Hochschule, 24, 40-41
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2013): „Ich kümmere mich um diesen Bereich nicht so sehr“ – Hepatitis C russischsprachiger Migrantinnen und Migranten aus Sicht von Fachkräften des Versorgungssystems. Migration und soziale Arbeit, (35), 4, S. 331-338
- Flick, U. & Röhnsch, G. (2014): Episodic and Expert Interviews beyond Academia: Health Service Research in the Context of Migration. In: Norman K. Denzin and Michael D Giardina (Eds) Qualitative Inquiry Outside the Academy. Walnut Creek: Left Coast Press, S. 181-196
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2013): „(…) jetzt bin ich am Kopf behindert“ – Abhängigkeitsverständnis und -erleben von russischsprachigen Migranten in Deutschland. Neue Praxis, Heft 6, S. 551-569
- Flick, U. & Röhnsch, G. (i. V.): Migrating Diseases – Triangulating Approaches: Challenges for Qualitative Inquiry as a Global Endeavor. Qualitative Inquiry, Vol 20, Issue 9, 2014.
- Röhnsch, G. & Flick, U. (i. Dr.): Versorgungsvorstellungen von Migranten aus der früheren Sowjetunion mit Alkohol- oder Drogenproblemen in Deutschland. Psychiatrische Praxis, 42. Jahrgang, Ausgabe 07/ 2015, S. 370-376.
- Röhnsch, G. & Flick, U. (i. V.): Barrieren der Inanspruchnahme suchtspezifischer Hilfen aus Sicht von MigrantInnen aus der früheren Sowjetunion. Heterogene Sozialisationshintergründe in der Suchttherapie. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 35. Jahrgang, Heft 1, 2015, S. 69.
Projektspezifische Präsentationen auf Kongressen und Tagungen:
- Flick, U. & Röhnsch, G. (2013): „That is a Blood Disease somehow” – Russian-speaking Migrants’ Hepatitis-related Concepts and Practices in Germany. Oral Presentation: 27thConference of the European Health Psychology Society. Bordeaux, 19.07.2013
- Flick, U. & Röhnsch, G. (2013): „Heroin Is Like a Swamp (…)“ – Methodological Challenges for Studying Drug-Related Concepts and Practices of Russian-Speaking Migrants in Germany. Oral Presentation: European Sociological Association 11th Conference. Turin, 30.08.2013
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2013): „In unserem Kopf sind Drogen der Tod“ – Expertensichten auf das Hilfesuchverhalten junger russischsprachiger Migrant/innen mit Alkohol- oder Drogenproblemen. Vortrag im Rahmen des 18. Kongresses Armut und Gesundheit. Berlin, 07.03.2013
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2013): „(…) wenn man weiter Drogen nimmt, zerfällt die Leber“ – Hepatitisbezogenes Krankheitserleben und -verhalten von russischsprachigen Migranten in Deutschland. Vortrag im Rahmen des 14. Interdisziplinären Kongresses für Suchtmedizin. München, 05.07.2013
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2013): „(…) wir sind wie eine Familie“ – eine qualitative Studie zum Inanspruchnahmeverhalten von Migranten mit potentieller Hepatitis. Vortrag: 12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 24.10.2013
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2014): „Die Substitutionstherapie ist (…) dasselbe wie die Droge“ – Russischsprachige Migranten mit Drogenproblemen und Hepatitis: Barrieren der Inanspruchnahme von Hilfen. Vortrag: 15. Münchner Aids- und Hepatitistage. München, 22.03.2014
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2014): Russischsprachige Migranten mit Alkohol- oder Drogenproblemen: Vorstellungen einer ‚guten’ Versorgung aus Sicht von Betroffenen und Experten. Poster: 13. Kongress für Versorgungsforschung, Düsseldorf, 24.-27.06.2014
- Röhnsch, G. & Flick, U. (2014): „(…) normale Menschen (…) machen so etwas nicht“ – Kontext Kultur: Abhängigkeitsvorstellungen von Migranten aus der früheren Sowjetunion in Deutschland. Vortrag angenommen: Gemeinsamer Kongress der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie. Greifswald, 19.09.2014
Schlagworte: Alkohol- und Drogenkonsum junger Menschen, russische Migrant_innen, Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen, Inanspruchnahmeverhalten
Kontakt:
Dr. Gundula Röhnsch;roehnsch@ ash-berlin.eu