Health, Study Vierter Offener Brief von Pflegestudierenden

Pflegestudierende der ASH Berlin, EHB und Charité machen erneut auf ihre prekäre finanzielle Situation aufmerksam

Pflegestudierende der Alice Salomon Hochschule Berlin, der Evangelischen Hochschule Berlin und der Charité haben erneut einen Offenen Brief verfasst, in dem sie auf ihre prekäre finanzielle Situation aufmerksam machen.

Download Offener Brief (vom 26.03.2023)

Der Brief, der sich u.a. an die Vertreter_innen der derzeitigen Berliner Koalitionsverhandlungen richtet, wurde initiiert von Okechukwu Ebenezer, der Allgemeinmediziner ist und an der ASH Berlin Pflege studiert. „Als Flüchtling mit einem medizinischen Abschluss, der in Deutschland leider nicht anerkannt wird, kann ich von meinen Eltern keine finanzielle Unterstützung erwarten, so dass ich arbeiten muss, um meine unmittelbaren Bedürfnisse zu decken“, klagt Okechukwu Ebenezer. Neben dem Vollzeitstudium, das außerdem viele unbezahlte Pflichtpraktika umfasst, arbeiten zu gehen, bringt die Studierenden schnell an ihre Belastungsgrenze.

Bereits im Oktober 2021 wandten sich Studierende des Bachelorstudiengangs Pflege der drei genannten Hochschulen, die in Berlin einen Pflegestudiengang anbieten, in einem Offenen Brief an politische Entscheidungsträger_innen. Seidem wurden von den Pflegestudierenden drei weitere Offene Briefe verfasst. In allen vier Briefen machen die Studierenden auf ihre prekäre finanzielle Lage, die hohe Belastung durch ein Vollzeitstudium mit langen unbezahlten Pflichtpraktika und die daraus resultierende hohe Abbrecherquote aufmerksam.

In Folge der ersten beiden Briefe und nach zahlreichen Terminen und Gesprächen, die Berliner Pflegestudierende und -lehrende mit landes- und bundespolitischen Vertreter_innen geführt haben, wurden vom Berliner Abgeordnetenhaus im Nachtragshaushalt für das Jahr 2022 insgesamt 764.000 Euro und für das Jahr 2023 Mittel in Höhe von 864.000 Euro beschlossen. Bis heute wurden diese Mittel jedoch an die Studierenden nicht ausgezahlt.

 

Offener Brief an die Mitglieder der neuen Regierungskoalition, an die Senatoren, Fraktionsvorsitzenden, Parteimitglieder, Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, Fraktionsvorsitzenden und Mitglieder des Bundestages sowie an den amtierenden Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach:

Betreff: Update: Prekäre finanzielle Situation von Pflegestudenten bleibt unverändert

Sehr geehrte Damen und Herren,

im ersten offenen Brief der Pflegestudierenden in Berlin wurde auf die prekäre finanzielle Situation aufmerksam gemacht und dieses Schreiben hat damals bereits viel Zuspruch erhalten. Im zweiten offenen Brief der Pflegestudenten wurde auf dasselbe finanzielle Dilemma aufmerksam gemacht und auf den Abbruch des Studiums vieler Studierender hingewiesen. In der Folge hat das Berliner Abgeordnetenhaus im Nachtragshaushalt unter dem Titel Kapitel 0930 / Titel 68450 für das Jahr 2022 764.000 Euro und für 2023 864.000 Euro beschlossen. Diese Mittel wurden bis heute nicht an die Studierenden ausgezahlt. Nun steht eine neue Regierung kurz vor der Bildung. Und wir senden einen weiteren Hilferuf an die Politik!

Ebenezer Okechukwu ist ein Pflegestudent im ersten Semester, der gerade sein erstes Praktikum absolviert hat, und er sagt, es sei die stressigste Zeit seines Lebens gewesen. “Als Flüchtling mit einem medizinischen Abschluss, der in Deutschland leider nicht anerkannt wird, kann ich von meinen Eltern keine finanzielle Unterstützung erwarten, sodass ich arbeiten muss, um meine unmittelbaren Bedürfnisse zu decken", klagt er.

Hier beschreibt er einen Überblick über seinen Tag während seines ersten Praktikums: "Während der Zeit meines Praktikums musste ich zwischen dem 23. Januar und dem 17.Februar 150 Stunden arbeiten (40 Stunden/Woche), und da dieses Praktikum unbezahlt war, musste ich es mit meinem Job bei Kentucky Fried Chicken (20 Stunden/Woche) kombinieren, damit ich für mich selbst sorgen konnte. An den meisten Tagen bin ich um 04:00 Uhr aufgestanden, weil ich mich darauf vorbereiten musste, um 04:45 Uhr zu meiner Frühschicht im Krankenhaus aufzubrechen, die um 06:00 Uhr beginnt, da ich eine Stunde entfernt wohne.
Ich arbeitete im Praktikum bis 14:00 Uhr und musste dann schnell zu der KFC-Filiale fahren, wo meine Schicht um 16:00 Uhr begann und bis 23:30 Uhr dauerte. Schließlich kam ich um 00:15 Uhr zu Hause an, wo ich am nächsten Tag um 04:00 - 04:15 Uhr wieder aufstehen musste. Ich habe in diesen vier Wochen also nicht mal 4 Stunden Schlaf erhalten, was für ein medizinisches Personal schrecklich ist. Nach kurzer Zeit hat mir mein Körper auf jede erdenkliche Weise zu verstehen gegeben, dass er sich in einer absoluten Überlastungssituation befand. Nach den EU-Vorschriften müssen Pflegestudenten 2360 Stunden in der Praxis absolvieren, bevor sie einen Abschluss erhalten können. Ich habe nun erst 150 von den 2360 gearbeitet. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie meine nächsten Semester aussehen werden, wenn die Situation nicht verbessert wird und die Praktischen Studienphasen sogar bis zu 12 Wochen dauern."

Wir nehmen wahr, dass auf Bundesebene Vorschläge für eine Gesetzesänderung erarbeitet werden. Gleichzeitig befürchteten wir, dass erst im Jahr 2024 mit der tatsächlichen Umsetzung einer Vergütung für Studierenden auf Landesebene zu rechnen ist. Wir benötigen jedoch sofort Hilfe und bitten Sie eindrücklich darum, die für 2023 bereitgestellten Mittel an die Pflegestudierenden in Berlin mit dem Start des neuen Semesters auszuzahlen.

So wie eine neue Koalition in der Regierung gebildet wird, so sollte diese auch eine neue Koalition mit den Studierenden der Pflege sein.

Es unterzeichnen – die Pflegestudierenden der »Taskforce Pflege Bachelor«

Harriet Franz - Charité
Christanna Quack - Alice Salomon Hochschule Berlin
Stefan Pavljak - Charité
Jelena Gräf - Charité
Laura Marie Meyer - Charité
Sally Naima Gminder - Evangelische Hochschule Berlin
Luca-Leon Hauser - Charité
Elodie Bossert
Ebenezer Okechukwu - Alice Salomon Hochschule Berlin
Lae Wohlketzetter - Alice Salomon Hochschule Berlin
Finn Tesmer - Alice Salomon Hochschule Berlin
Sina Keller - Alice Salomon Hochschule Berlin
Vinzenz Anetzberger - Alice Salomon Hochschule Berlin
Paula Gramsch - Alice Salomon Hochschule Berlin
Aysenur Midik - Alice Salomon Hochschule Berlin

 

Weitere Offene Briefe der »Taskforce Pflege Bachelor«

 

Erster Offener Brief vom 13.10.2021

Zweiter Offener Brief vom 01.03.2022

Dritter Offener Brief vom 15.10.2022

 

Berichterstattung

Der Tagesspiegel hat über den Offenen Brief berichtet: https://www.tagesspiegel.de/wissen/unbezahlte-einsatze-im-pflegestudium-in-vier-wochen-nicht-mal-vier-stunden-schlaf-9577265.html